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Worauf es im Leben wirklich ankommt

Interview mit Fabian Otten, August 2020

Seit März kreuzen sich die Wege von Musiker*innen, Sänger*innen und den Menschen des Hinterhauses der Oper nur noch selten: Abstand halten ist das Gebot. Da tut es richtig gut, sich für ein Interview nach so langer Zeit zusammenzusetzen und zu erfahren, wie es den Kolleg*innen in den vergangenen Monaten ergangen ist. Fabian Otten kommt mit dem Rad. Wir treffen uns im Kalkhof und finden ein ruhiges und sommerlich-warmes Plätzchen im leeren Foyer des vierten Ranges.

Fabian, ich habe Sie fast nur digital erlebt in den letzten Monaten. Wie sah die Zeit nach dem Lockdown bei Ihnen beruflich aus?
Nach dieser Schrecksekunde am Anfang, als plötzlich alles abgesagt war, habe ich mich mit meinen Percussion-Kollegen zusammengeschlossen und für kleine „Philharmoniker to go“-Konzerte intensiv geprobt. Wir waren im Altonaer Kinderkrankenhaus und im Sozialtherapeutischen Zentrum, wo wir ein Konzert für suchtkranke Menschen gegeben haben. Die ersten Konzerte nach der Zeit der Stille waren ein ganz besonderes Gefühl. Es waren tolle Momente – in einer so schwierigen Pandemie-Situation plötzlich Zeit zu haben, zu den Menschen zu gehen, die nicht die Möglichkeit haben, zu uns in die Oper zu kommen.

Sie haben auch bei einem Videodreh der Reihe „Junge, komm bald wieder!“ mitgemacht, in der Orte, die wir vermissen, gezeigt werden. Und tatsächlich waren Sie an einem Ort, den viele Orchestermusiker*innen im Opernalltag regelmäßig besuchen.
Stimmt, das hatte ich fast vergessen. Wir haben zusammen mit den Blechbläserkollegen ein kleines Video im Metropolis Kino produziert. Die Bar des Kinos liegt einfach perfekt, um in den Vorstellungspausen kurz einen Kaffee zu trinken, bevor es im Graben weitergeht. Wir haben dort eine richtige „Spaßnummer“ gespielt. Vielleicht hat das ja geholfen, ein bisschen Leichtigkeit in diese schwere Zeit zu bringen.

Gab es bei Ihnen Projekte, die schon länger auf den passenden Moment gewartet haben und jetzt zum Zug kamen?
Auf jeden Fall: Ich habe sehr viel Zeit ins Marimba-Spiel gesteckt. Das war schon immer eine große Leidenschaft von mir. Ich komponiere auch nebenbei und habe zwei Stücke fertiggestellt und aufgenommen, eines für Marimba solo, das andere für Marimba und Geige. Wenn alles fertiggestellt ist, lade ich sie wahrscheinlich auf YouTube hoch. Aber erst werden noch Videos dazu gedreht, die ich mit einem Filmteam aus Düsseldorf mache. Dort habe ich noch ein Marimba im Keller meiner Eltern stehen, wo ich in den letzten Wochen viel üben konnte. In Hamburg habe ich noch keinen Platz dafür gefunden.

Wie kamen Sie zum Komponieren?
Das habe ich gefühlt schon immer gemacht. Als Kind habe ich mit Klavier angefangen und darüber meine Leidenschaft für Musik entwickelt. Ich setze mich heute immer noch gerne ans Klavier und klimpere, was mir so in den Sinn kommt. Wenn ich etwas komponiere, ist das meistens ein Mix aus am Klavier sitzen und am Marimba stehen. Die Mensur ist ja quasi gleich.

Aber ob man mit Fingern oder Schlägeln spielt, macht vermutlich doch einen großen Unterschied?
Mit den Schlägeln kann man rhythmisch viel mehr Variationen reinbringen, dafür ist man mit vier Schlägeln natürlich in der Menge der parallel angeschlagenen Töne begrenzter als am Klavier. Das Marimba ist für mich eine Mischung aus Schlagzeug und Klavier, gerade das hat mich immer gereizt: Klangfarben, Harmonien, Melodien und Percussion in einem. Es ist für mich das schönste Soloinstrument im Schlagzeug.

Haben Sie schon Konzerte mit Ihren eigenen Werken gegeben?
Tatsächlich haben wir bei den „Philharmoniker to go“-Konzerten Stücke von mir gespielt. Das war ein guter Rahmen, um sich da ran zu wagen.

Sie haben schon früh professionell im Orchester gespielt, erst in der Philharmonie Südwestfalen, seit 2017 als Solo-Schlagzeuger im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Studium, Orchesterstelle samt Probejahr, Soloprojekte und Wettbewerbe mit dem Marimba. Da ist es vermutlich gar nicht so einfach, Zeit für den Studienabschluss zu finden?
Ich möchte mein Studium auf jeden Fall noch abschließen, auch wenn in unserem Job ausschließlich zählt, was man auf seinem Instrument kann. Mir fehlen noch das finale Konzert und die Bachelorarbeit, für die ich an einer Schlagzeugschule für Studierende arbeite. Der Fokus liegt auf der kleinen Trommel. Mein Ziel ist es, selbstentwickelte Übungen für verschiedene Spieltechniken bzw. Spielkompetenzen zusammenzustellen: Geschwindigkeit bei bestmöglicher Lockerheit, dynamische Flexibilität, Gleichmäßigkeit der Rhythmen, Mikrotiming, wo es darum geht, simple Rhythmen ganz präzise mit Metronom zu spielen, um sie danach leicht zu verschieben, dadurch den Charakter zu verändern und den jeweiligen Stil von Puccini, Schostakowitsch etc. zu unterstreichen. (Fabian trommelt mit seinen Fingern auf den Couchtisch, um die stilistischen Unterschiede zu demonstrieren.) Im Grunde versuche ich alle Kompetenzen der Trommeltechnik kompakt zusammenzufassen.

Das klingt nach einem richtigen Buchprojekt. Ich sehe Sie oft in der Oper üben, dazu komponieren Sie noch und schreiben eine Schlagzeugschule. Das ist wirklich beeindruckend!
(Lacht.) Ich kann das Leben auch ganz gut genießen. Im Sommer habe ich viel Zeit mit Familie und Freunden verbracht. Ich mag es, draußen intensiv Sport zu machen, das ist ein super Ausgleich. Es gibt in Hamburg einige Bewegungsinseln mit Geräten. Da kann man sehr gut Freeletics machen und sich unter freiem Himmel an der Klimmzugstange auspowern. Mit der passenden Kleidung geht das bei jedem Wetter. Natürlich bin ich nicht immer motiviert, wenn man es aber einfach durchzieht, fühlt es sich danach großartig an. (Lacht.)
Auf der anderen Seite ist es auch gut, etwas Ruhiges zu haben wie Yoga und Meditation. Ich nehme an Kursen des Tibetischen Zentrums in Hamburg teil. Es gibt jeden Freitag einen Vortrag über Philosophie, Ethik, verbunden sowohl mit wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch mit buddhistischen. Das bringt mich auf den Boden der Tatsachen zurück, auf das, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Als Musiker*in definiert man sich schnell durch sein Spiel. Das Stresslevel ist hoch. Es entwickeln sich bestimmte Gedankenstrukturen, die gerne mal in einer Einbahnstraße münden. Zu lernen, dass man nicht auf positive Rückmeldung für seine Leistung angewiesen ist, ist sehr befreiend und beglückend. Am Anfang dachte ich, Meditation ist etwas, um den Geist ruhig zu stellen. Tatsächlich lerne ich aber durch den Moment der tiefen Konzentration sehr viel mehr, gerade über das eigene Verhältnis zu Menschen, Tieren, Natur.

Sie sind mit 27 Jahren der Jüngste in der Schlagzeuggruppe und stehen als Solo-Schlagzeuger zugleich an der Spitze. Wie fühlt sich diese Position an?
Natürlich macht man sich Gedanken und möchte die Erwartungen erfüllen. Auf der anderen Seite sind die Kollegen so nett und entspannt, dass der anfängliche Leistungsdruck schnell in den Hintergrund rutscht. Wir verstehen uns wirklich gut und ich kann viel von ihrer Erfahrung lernen. Jeder Kollege hat seine eigene Art zu spielen, das ist auch das Tolle. Ich kann klanglich erkennen, wer gerade spielt und mir von jedem etwas abschauen.

Bei wem liegt die Entscheidung, wer von Ihnen welchen Part übernimmt, wenn ein Stück mit mehreren Schlagzeugern besetzt ist?
Wir sprechen uns untereinander ab. Jeder äußert Wünsche, wobei meistens jeder Lust auf jeden Part hat und ich das Glück habe, mir raussuchen zu können, welchen ich möchte. Wenn eine Stimme besonders exponiert ist, darf ich sie als Solo-Schlagzeuger spielen.

Vor der Sommerpause wurden Sie von Kent Nagano als herausragender Künstler für den Eduard Söring-Preis ausgewählt, den die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper vergibt.
Ich habe mich sehr gefreut, der Glückliche zu sein. Leider kam der Lockdown der feierlichen Übergabe beim Operndinner zuvor. Ich hatte zusammen mit dem Studienleiter Rupert Burleigh ein Stück für Vibraphon und Klavier vorbereitet, das von Piazzolla und dem Libertango inspiriert ist. Vielleicht können wir es ja beim kommenden Operndinner spielen.

Was steht heute noch bei Ihnen an?
Nächste Woche starten die Proben für „molto agitato“. Bei Ligeti „Nouvelles aventures“ muss ich als Schlagzeuger viel kaputtreißen und zerschlagen: Flaschen an einer Metallplatte, Dosen mit einem großen Hammer, Papier in verschiedenen Varianten. Schüsseln, Teppichklopfer und Luftballons kommen auch vor. Dafür gehe ich gleich shoppen.

Wir sind gespannt, wie es klingt wird!

Das Gespräch führte Janina Zell

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