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Es gibt keine Perfektion –
weder in der Musik noch in der Technik.

Interview mit Konradin Seitzer, Mai 2019

Konradin Seitzer ist seit 2012 Erster Konzertmeister des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. 1983 in Aachen geboren, begann er als Vierjähriger mit dem Violinspiel. Neben seiner Konzertmeistertätigkeit tritt er auch als Solist auf, etwa mit dem Konzerthausorchester Berlin oder den Lüneburger Symphonikern. Im Mai 2019 wird er nun Mendelssohns Violinkonzert in der Elbphilharmonie mit seinen Philharmoniker-Kollegen spielen. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam, was zu den Aufgaben eines Konzertmeisters gehört und warum ihn Technik so fasziniert.

Im Alter von 28 Jahren wurden Sie Erster Konzertmeister des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. War bei dem damaligen Schritt dazu auch Respekt vorhanden?
Natürlich! Bevor ich nach Hamburg kam, war ich bereits ein Jahr Erster Konzertmeister im Orchester der Komischen Oper in Berlin und da konnte ich Erfahrung sammeln, aber ich hatte schon großen Respekt davor hierher zu kommen. Das Orchester hat ein riesiges Repertoire, u.a. gab es in meiner ersten Saison z.B. den „Wagner-Wahn“ von Simone Young — ich musste die ganzen Wagner-Opern lernen, in Kombination mit den Konzertprogrammen, da wir ja nicht nur in der Oper spielen. Aber ich habe mir einfach gesagt: eines nach dem anderen und das hat dann ja auch zum Glück gut geklappt.

Kann man sich schon im Studium auf die Laufbahn als Konzertmeister vorbereiten?
Das Studium ist ja eher eine Solistenausbildung. Man besucht dort zwar auch das Fach „Orchesterstudien“, aber wie ein Orchester funktioniert, wie man sich einfügen muss, das lernt man erst, wenn man Teil eines Orchesters ist und dafür hat man im Probejahr ja auch nur begrenzt Zeit. Man kann hervorragend spielen und das Probejahr dennoch nicht bestehen, wenn der Führungsstil oder der Umgang mit den Kollegen nicht passt.

Was sind die Aufgaben eines Konzertmeisters?
Zunächst das Einstimmen des Orchesters, damit geht ja jede Probe, jedes Konzert und jede Vorstellung los. Aber zu meinem Aufgabenbereich gehört auch das Einrichten der Streicherstimmen; dies mache ich schon vor der ersten Probe. Bei den Streichergruppen sind vor allem einheitliche Bogenstriche wichtig, die werden vom Komponisten nicht vorgegeben, sondern vom Konzertmeister festgelegt. Es gibt dabei kein „Richtig oder Falsch“, ich versuche, mein stilistisches Wissen und meine musikalischen Vorstellungen mit den spieltechnischen Herausforderungen des Instrumentes in Einklang zu bringen. Würde jeder Kollege einen anderen Bogenstrich oder an einer anderen Bogenstelle spielen, wäre das Ergebnis sowohl optisch als auch klanglich sehr uneinheitlich.
Das mache ich vor der ersten Probe, damit es in der Probenphase nicht noch Zeit raubt. Wenn der Dirigent einen anderen Klang sucht, dann ist es meine Aufgabe herauszufinden und auszuprobieren, wie wir das umsetzen, z.B. indem wir mehr an der Bogenspitze oder am Frosch spielen, also die Bogentechnik so anzupassen, dass es so klingt, wie der Dirigent es sich wünscht.
Während der Proben und Aufführungen ist meine Hauptaufgabe das Führen des Orchesters, ich bin so eine Art Bindeglied zwischen Orchester und Dirigent und dafür zuständig, dass das Orchester gut zusammenspielt, vor allem, wenn die Aufmerksamkeit des Dirigenten z.B. gerade der Bühne gewidmet ist und er sich nicht um die Instrumentengruppen kümmern kann. In solchen Situationen muss ich das Orchester deutlich führen, damit alle Kollegen genau wissen, wann sie spielen müssen.
Eine weitere wichtige Aufgabe des Konzertmeisters ist das Spielen von Soli. Das Opern-und Ballettrepertoire bietet wunderschöne Konzertmeistersoli: das große Solo in der „Frau ohne Schatten“ spiele ich besonders gern, da es ein so berührender Moment in der Oper ist. John Neumeier baut gerne zusätzliche Geigensoli in die Ballette ein, wie z. B. in „Schwanensee“. Dort spielen wir noch die „Meditation“ von Tschaikowsky für Violine und Orchester. Natürlich beinhaltet das Konzertrepertoire auch solistische Aufgaben, so freue ich mich besonders auf die „Missa Solemnis“, die in der nächsten Spielzeit auf dem Programm steht.

Sie sind drei Konzertmeister bei den Philharmonikern. Wie teilen Sie sich untereinander auf, wenn ein großes Solo in einer Produktion bevorsteht?
Ich als Erster Konzertmeister spiele die Soli in den Symphoniekonzerten und großen Opernproduktionen. Im Opern- und Ballett-Repertoire gibt es viele weitere Soli, die wir gerecht unter uns aufteilen, da wir sie alle gerne spielen. Da kommt dann jeder mal dran.

Im 9. Philharmonischen Konzert am 19./20. Mai 2019 spielen Sie als Solist Mendelssohns Violinkonzert. Wie kam es dazu?
Herr Nagano und ich waren schon länger darüber im Gespräch. Schließlich habe ich das Mendelssohn-Violinkonzert vorgeschlagen, weil es eines meiner Lieblingskonzerte ist und mich das Konzert schon von klein auf begleitet. Die lyrischen Themen und die virtuosen Passagen machen es zu einem so beliebten Werk. Der große Geiger Joseph Joachim hat dieses Violinkonzert mal ein „Herzensjuwel“ genannt, das trifft es meiner Meinung nach genau. Und natürlich freue ich mich besonders darauf, dieses Konzert in der Elbphilharmonie spielen zu dürfen.

Wie häufig spielen Sie als Gastsolist mit anderen Orchestern?
Das kommt schon immer mal wieder vor. Das Mendelssohn-Konzert spiele ich z.B. auch noch mit den Lüneburger Symphonikern, ebenso das Tripelkonzert von Beethoven, u.a. auch mit unserer Solocellistin Olivia Jeremias. Das sind schon mehrere Konzerte im Jahr, die ich solistisch spiele.

Das Konzert im Mai in der Elbphilharmonie dirigiert Dennis Russel Davies und neben Mendelssohn steht auch eine Schostakowitsch-Symphonie auf dem Programm. Kennen Sie den Dirigenten schon? Und spielen Sie die zweiten Konzerthälfte auch als Konzertmeister mit?
[Lacht] Nein, es ist unüblich, dass der Solist im zweiten Teil als Konzertmeister noch mitspielt, obwohl ich auf die Schostakowitsch-Symphonie schon große Lust hätte! Mit Herrn Russell Davies habe ich in meiner Akademiezeit beim Deutsche Symphonie-Orchester in Berlin einmal ein Konzertprogramm gespielt. Er ist ein sehr erfahrener Dirigent und ich bin zuversichtlich, dass wir uns gut verstehen werden.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit als Ausgleich?
Ich reise sehr gern. Im letzten Jahr habe ich gemeinsam mit meiner Frau Katharina [Katharina Weiß, ebenfalls Orchestermitglied, Anm. d. Red.] eine zweieinhalb-wöchige Island-Umrundung gemacht. In den Jahren davor sind wir mit dem Wohnmobil durch Norwegen, Kanada und Kalifornien gereist. Wir lieben es, direkt in der Natur zu sein. Dort tanken wir Energie für die nächste Spielzeit.

Ist das Wohnmobil bei Ihrer Größe nicht etwas eng?
[Lacht] Das geht schon, heutzutage sind die Wohnmobile ziemlich modern geworden. Ich bin 1,93 m groß, das ist als Konzertmeister von Vorteil, weil einen die Kollegen gut sehen können, aber im Wohnmobil natürlich manchmal etwas ungünstig.

Neben dem Violinspiel sind Sie Technik-begeistert. Ist das Ihr Ausgleich zum „klassischen“ Beruf und der Beschäftigung mit der Tradition?
Ja, das stimmt. Mich fasziniert die technische Entwicklung und das damit verbundene Streben nach Perfektion. Ich bin selber ein ziemlicher Perfektionist und suche auch in der Musik immer danach. Aber es gibt keine Perfektion, weder in der Musik noch in der Technik und das ist auch gut so.

Das Gespräch führte Hannes Rathjen

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